Folge 1: Alles begann mit einem Fußball aus Glasgow

Montag, den 02. Januar 2012 um 01:00 Uhr
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100 Jahre MTV TreubundAls am 18. Januar 1900 in Leipzig der Deutsche Fußball-Bund gegründet wurde, waren in vielen Orten bereits Fußballvereine entstanden. In Niedersachsen war das englische Spiel schon seit mehr als zwanzig Jahren be­kannt: In Braunschweig hatte es der Lehrer Konrad Koch bei seinen Schülern am Gymnasium Martino-Katha­rineum eingeführt, und in Hannover war es bereits 1878 zur Gründung des ersten Clubs, des Deutschen Fußball-Vereins, gekommen. Kochs Regelwerk befindet sich als Nachdruck im Archiv des MTV Treubund.

Wie kommt nun der Fußball nach Lüneburg? Dies ist zugleich auch die interessante Geschichte, wie das Spiel im MTV Lüneburg Eingang findet.

Autorin: Ingrid Horn


Die Ministerialverfügung v. Gosslers

Ausgangspunkt ist auch hier das Gymnasium. Im Oktober 1882 erhält das Johanneum die Verfügung de nisters v. Gossler, den später als Wendepunkt im deutschen Turnunterricht gepriesenen "Spielerlass", der u.a. die Anweisung gibt, Spiele im Freien zu betreiben und hierfür einen geeigneten Platz zu schaffen: "Ein größeres Gewicht muss ... darauf gelegt werden, dass das Turnen im Freien den günstigeren gesundheitlichen Einfluss der Übungen wesentlich erhöht, und dass mit dem Turnplatze eine Stätte gewonnen wird, wo sich die Jugend im Spiele ihrer Freiheit erfreuen kann ... "1) Weiter heißt es zur Einrichtung eines Turnplatzes: " ... wenn sich der Turnplatz nicht im Zusammenhange mit der Turnhalle beschaffen lässt, wird auf die Anlegung desselben au­ßerhalb des Ortes zu dringen sein. Erhebliche Kosten wird diese Einrichtung nicht verursachen, da die Anlage in diesem Falle hauptsächlich nur den Turnspielen dienen soll ... "2)

Die Reaktion auf diese ministerielle Anordnung zeigt sich bereits im Jahresbericht des Johanneums von Ostern 1884. Der Magistrat der Stadt hat, aus Mangel an freien Plätzen in der Stadt, für die mittleren Klassen den Schützenplatz zum Spielen hergerichtet, während die unteren Klassen nach der Turnstunde auf dem Schulhof spielen. "Eine große Anzahl der älteren Schüler spielte in eigens dazu gebildeten Gesellschaften auf freien Plätzen bei den städtischen Forstorten Böhmsholz und der Roten Schleuse. Besonders wurde das Fußballspiel geübt, daneben aber auch die deutschen Ballspiele." 3) Das Gelände an der Roten Schleuse, das immerhin 1% Stunden Fußmarsch vor der Stadt liegt, entwickelt sich zum beliebten Spielplatz der älteren Schüler. Es ist für lange Jahre die einzige Sportstätte Lüneburgs unter freiem Himmel, vielleicht gerade, weil sie durch ihre Ent­fernung damals unbeobachtet von der Öffentlichkeit bleibt.

Bemerkenswert ist, dass der Minister bei den Spielen - "Obenan sind die verschiedenen Ballspiele zu stellen (Treibball, Fußball, Schlagball, Stehball, Thorball)" 4) - ausdrücklich auch Fußball empfiehlt, das bei den älteren Schülern schnell unter den Ballspielen bevorzugt wird, wie aus den nächsten Jahresberichten des Johanneums zu entnehmen ist. Das hat sehr unterschiedliche Gründe, die uns heute vielleicht überraschend und amüsant erscheinen, betrifft es doch auch ein Regelwerk, das von unserem heutigen weit entfernt ist.

100 Jahre MTV Treubund Fußball

Oberlehrer Görges

Prof. Wilhelm Görges (1838 - 1925)"Bei einer immerhin weit verbreiteten Abneigung der älte­ren Schüler, sich an diesen Spielen (gemeint sind hier die deutschen Spiele; I.H.) zu beteiligen, ist die Einführung von Spielen, die einen großen Apparat erfordern, und daher nicht jedem zugänglich sind, nicht ohne Bedeutung. Denn an diesen beteiligen sich auch ältere Schüler, die gegen die hergebrachten Spiele, mögen sie auch noch so vortrefflich sein, blasiert sind. Ein besonderes ist das eng­lische Fußballspiel ... Übrigens hat das englische Fußball­spiel viele eigentümliche Vorzüge: Es kann von einer beliebig großen Anzahl von Spielern gespielt werden - was z. B. bei dem deutschen Schlagball nicht möglich ist - und lässt dabei doch die guten Spieler entscheidend hervor­treten; es ist ein rechtes Kampfspiel, bei dem die Körper­kraft aufs äußerste gespannt wird, und macht dabei doch in jedem Augenblick jedem ein Ausruhen möglich, ohne dass das Spiel gestört wird.

Dabei ist es für die Kleidung - falls nur das Aufnehmen des Balls nicht gestattet wird - weniger gefährlich, als die meisten Spiele, bei denen es auf das Greifen der Mitspie­ler ankommt. Nur erfordert es einen großen ebenen Platz." 5)

Bis 1912 werden in den Jahresberichten des Johanneums die freiwilligen Spielnachmittage der älteren Schüler am Sonnabend in der Roten Schleuse erwähnt, ab 1892 noch durch den Mittwoch Nachmittag ergänzt. 6) Nur für die Jahre 1897 und 1898 heißt es: " .. .Die Betheiligung an diesen Spielen ... ist, wie es scheint, infolge der Verbreitung des Radfahrens nicht ganz so rege gewesen wie sonst." 7) 1910 werden die Spiel nachmittage in der Roten Schleuse auch für die unteren Klassen unter Anleitung der Klassenlehrer und Seminarmitglieder angeboten. Natürlich herrscht hier eine große Beteiligung; denn die­sen Schülern werden immerhin die Hausaufgaben erlassen. 8) Anzumerken ist, dass ausdrücklich das Fußball­spiellediglich in den Jahresberichten 1884 und 1885 erwähnt wird.

Fußball im Männer-Turnverein Lüneburg

Zur gleichen Zeit unterrichtet der MTV- Turnlehrer Gottfried Machleidt am Johanneum. 9) Er erweist sich als rüh­riger und fortschrittlicher Mann, und gemeinsam mit der ebenso fortschrittlichen Vorturnerschaft führt er solche Spielnachmittage auch beim MTV ein.

Während der Sommermonate treffen sich die Turner in unregelmäßigen Abständen sonntags nachmittags auf dem Spielplatz an der Roten Schleuse, um zwanglos zu spielen. Ganz sicher ist hier neben den Turnspielen auch Fußball gespielt worden; denn Oberlehrer Görges ist MTV-Mitglied, und auf Anregung Machleidts ist be­reits 1885 ein Fußball angeschafft worden. 10) Machleidt erinnert sich später: "Manchmal ging ich aber auch zur Roten Schleuse und suchte die Spielabteilung auf, welche unter Professor Görges' Leitung Fußball spielte; manchmal spielte ich auch selbst mit." 11) Schnell bilden sich bestimmte Rituale aus. Im Protokoll der Vorturner­schaft findet sich der Hinweis: "Ostern (1891) ist Anspielen in der Roten Schleuse, daran ist auch in diesem Jahre festzuhalten." 12)

Der MTV, der seit seiner Gründung in einem wechselseitigen, befruchtenden Austausch mit dem Johanneum steht, klinkt sich hier sehr geschickt in eine Entwicklung ein, die für den Verein in der Zukunft zum Gewinn wird. Hier wird, wahrscheinlich ganz unbewusst, durch die Übernahme des Fußballspiels der Aufnahme des Sports in den Turnverein der Weg bereitet. Das Fußballspiel ist im MTV, ob nun von Anfang an oder später dazuge­kommen, in den Spiel betrieb eingebettet gewesen. Erst als man 1911 die sonntäglichen Spielnachmittage beim MTV so ordnet, dass an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat Fußball gespielt wird und an jedem zweiten und vierten Sonntag die deutschen Spiele auf dem Plan stehen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man völlig getrennte Wege geht und das Fußballspiel im MTV seine eigene Dynamik entwickelt. Und das ist dann bereits ein Jahr später, 1912, der Fall.

1 Der Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten von Gossler: Gymnasial- et Lehranstalten. 145) Beschaf­fung von Turnplätzen, Betreibung von Turnübungen und Turnspielen im Freien, Einrichtung von Turnfahrten etc., in: Centralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1882, S. 710.
2 Ebenda, S.713
3 Jahresbericht des Johanneums zu Lüneburg. Ostern 1884, S. 3
4 Der Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten: Gymnasial- etc. Lehranstalten. 145) Beschaffung von Turnplätzen, Betreibung von Turnübungen und Turnspielen im Freien, Einrichtung von Turnfahrten etc. In:
Centralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, 1882, S. 712.
5 W. Görges: Das Turnwesen und die körperlichen Übungen am Johanneum, in: Festschrift des Johanneums zu Lüneburg zur Feier der 50jährigen Amtstätigkeit des Rektors Dr. phil. Ernst Kohlrausch am 26. September 1888, S.25
6 Vgl. Jahresbericht des Johanneums zu Lüneburg, 1893, S. 47
7 Jahresbericht des Johanneums zu Lüneburg 1898, S. 40 u. 1899, S. 16 8 Vgl. Jahresbericht des Johanneums zu Lüneburg 1911, S. 8
9 Zu Machleidt vgl. Horn, Ingrid, in: NISH-Jahrbuch 2004, S. 52-53.
10 Vgl. Protokoll der Vortunerschaft v. 18.04.1885, Protokoll buch I der Vorturnerschaft 1863-1897. - Die hier und im folgenden zitierten Archivalien befinden sich im Archiv des MTV Treubund Lüneburg
11 Machleidt, Gottfried: Lebenslauf, S. 28 (Kopie des handschriftlichen Manuskripts im Archiv des MTV Treu­bund Lüneburg).
12 Protokoll der Vorturnerschaft v. 20.3.1891, Protokoll buch I der Vorturnerschaft 1863-1897.

Lesen Sie nächste Woche: Die Übernahme des Sports in den MTV Lüneburg

 
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